Mein Schreibprozess: Das springende Dreieck
Als Kind habe ich mit dem Schreiben von Kurzgeschichten begonnen. Als ich älter wurde, wurden diese immer länger. Ich erinnere mich, dass meine längsten Geschichten damals etwa 40-50 Seiten umfassten (A4-Format), und ich schrieb sie ohne vorherige Planung in ein oder zwei Tagen runter.
Bei meinen ersten Versuchen, einen Roman zu schreiben, hab ich das erstmal ganz genau so gemacht (im Englischen nennen Autoren das auch „pantsing“). Bei jedem dieser Vorhaben kam ich auf etwa 100 Seiten… und scheiterte dann. Ich mag es, komplexe Geschichten zu erzählen, und die Geschichte wurde irgendwann verworren. Ich hatte Probleme mit der Zeitlinie, ich erinnerte mich nicht mehr an wichtige Details vom Anfang, ich war meinen kreativen Ideen auf Pfade gefolgt, die von der eigentlichen Handlung abwichen. Kurz gesagt, es endete immer in einem völligen Chaos. (Das ist mein hartes, selbstkritisches Urteil. Wahrscheinlich war es gar nicht so schlimm, aber für mich waren diese Geschichten nicht mehr zu retten – zumindest nicht mit einem akzeptablen Arbeitsaufwand.)
Ich habe mein Problem erkannt, also machte ich mich auf die Suche nach Lösungen. Und da draußen gibt es eine Menge Ratschläge für Schriftsteller. Leider sind diese Ratschläge oft sehr schwarz-weiß und für mein neurodiverses Gehirn absolut nicht geeignet. Das habe ich natürlich immer erst gemerkt, nachdem ich einen neuen Ansatz ausprobiert hatte. Letztendlich habe ich über zwanzig Jahre von meinem ersten Romanversuch bis zum tatsächlichen Schreiben meines ersten Romans gebraucht.
Das Fundament meines neuen Prozesses bestand darin, drei Konzepte zur Strukturierung von Geschichten zu einem einzigen zu kombinieren. Wahrscheinlich hast du schon von der Drei-Akt-Struktur für Romane gehört, bei der die Geschichten in Aufbau, Konfrontation und Auflösung unterteilt werden. Aber es gibt noch viele andere Konzepte, und es ist die Aufgabe jedes Autors, das jeweils richtige zu finden (möglicherweise sogar für jede einzelne Geschichte). In meinem Fall hatte ich das Gefühl, dass die Drei-Akt-Struktur gut passte – aber es fehlte auch etwas.
Also habe ich weiter gesucht. Ein anderes berühmtes Konzept in der westlichen Welt ist die Heldenreise, und in den letzten Jahren ist auch das so genannte „Save the Cat“-Konzept sehr populär geworden. Beide hatten Elemente, die ich sehr ansprechend fand, aber keines fühlte sich für mich vollständig an. Schließlich beschloss ich, mir die Mühe zu machen und die drei Ansätze zu einem großen Ganzen zu kombinieren.

Ich habe zwar viel Arbeit dafür investiert, aber es ist nicht wirklich ein neues Konzept ist, sondern nur eine Verknüpfung von drei bestehenden Erzählstrukturen. Ehre, wem Ehre gebührt 😉
Auf der Grundlage dieser neuen Gliederung begann ich dann, meinen ersten Roman zu planen. Manche Autoren planen jede einzelne Szene, die sie schreiben – aber ich wusste, dass mich das nur auslaugen und meine Kreativität einschränken würde (oder ich würde meine ganzen Pläne beim Schreiben ignorieren). Meine Struktur ist also sehr grob. Ich schrieb die großen Meilensteine der Geschichte auf und habe sichergestellt, dass die Handlung sinnvoll zusammenhängt und keine Logikfehler enthält. Dann habe ich angefangen zu schreiben.
Die Geschichte entwickelt sich dann sozusagen von selbst. Ich plane nicht jedes Detail, viele Dinge fallen mir während des Schreibens ein, oder während ich über die nächsten Szenen nachdenke. Und manchmal passieren einfach Dinge, die den ursprünglichen Plan ergänzen oder verändern können.
Wenn das passiert, ändere oder erweitere ich meinen Plan. Aber das Wichtigste ist, dass ich immer noch eine geplante Struktur habe. Sie ist lebendig, verändert sich und passt sich an die Geschichte an, während sich diese entwickelt. Trotzdem verliere ich mich nicht mehr. Ich weiß genau, wo ich hin will, auch wenn sich die Dinge ändern.
Eine andere Sache, die ich beim Schreiben meines ersten Entwurfs mache, ist das Lektorat. Ein typischer Ratschlag an Schriftsteller lautet, nicht mit dem Lektorat anzufangen, bevor der erste Entwurf fertig ist. Das funktioniert bei mir gar nicht. Wenn ich meine fertigen Kapitel überarbeite, fällt mir manchmal ein Teil auf, der nicht so richtig passt. Die Motivation eines Charakters ist vielleicht nicht stark genug, die Ereignisse wirken etwas zu langweilig, usw. Wenn das passiert, versuche ich, so früh wie möglich herauszufinden, was sich ändern muss. Manchmal kommen dadurch komplett neue Nebenstränge der Handlung zustande, oder neue Figuren tauchen in der Geschichte auf, die ich dann wiederum in die Planung aufnehme. Und das – du ahnst es – hilft mir, im Auge zu behalten, wohin die Geschichte geht und was als nächstes passieren muss.
Und da haben wir’s: Das springende Dreieck.

Kurz gesagt: Ich beginne mit der Planung, aber dann wechsle ich immer wieder zwischen Schreiben, Lektorieren und Anpassen des Plans. Sowohl das Lektorat als auch das Schreiben können sich auf den Plan auswirken. Das Lektorat wirkt sich natürlich auf das Schreiben aus (indem ich Teile der Geschichte umschreibe), und die Gliederung wirkt sich auf mein Schreiben aus, indem sie mir die für mich nötigen Leitplanken bietet (damit die Geschichte keinen Unfall mit Totalschaden erlebt).
Das Ganze hat für mich einen weiteren Vorteil: Die Überarbeitung des Romans wird etwas weniger abschreckend. Wenn ich meinen ersten Entwurf fertiggestellt habe, ist ein Teil des Lektorats bereits erledigt. Sicherlich gibt es dann immer noch viel zu tun, aber ich fange nicht mehr ganz am Anfang an.
Mit diesem neuen Vorgehen habe ich die Phase, in der alle meine früheren Romanprojekte gescheitert sind, diesmal bereits hinter mir – und ich weiß immer noch genau, was ich tue 😉
Und das ist er – mein Schreibprozess!